31052019

"DER RAUB DES FEUERS" (THE THEFT FIRE)
Von Prometheus zum Erdöl

Es ist vielleicht kein Zufall, dass die Prometheus-Legende und die erste industrielle Rohölförderung im selben Gebirge angesiedelt sind. In der griechischen Mythologie entwendet Prometheus den Göttern das Feuer und bringt es den Menschen. Als Strafe wird er von Zeus an einen Felsen des Kaukasus gekettet. Aserbaidschan bezeichnet sich selbst gern als “Feuerland” und seine Hauptstadt wäre demnach die Hüterin des Feuers, eine Vestalin also.

In Baku befinden sich die Fördertürme des Erdöls in unmittelbarer Nähe des Feuertempels, der Zarathustra gewidmet ist, und des “brennenden Bergs”, aus dem seit urdenklichen Zeiten Erdgas austritt. Hier wohnt dem Rohstoff ein geradezu spirituelles Element inne, das zudem über ein erhebliches ästhetisches Potential verfügt, welches die Künstler dieser Ausstellung inspiriert hat.

Als Feuerbringer und Lehrmeister ist Prometheus (griechisch: der Vorausdenkende) der Urheber der menschlichen Zivilisation.

Schon in der Antike war das Schicksal des Prometheus ein eindrückliches literarisches Sujet und ein beliebtes Motiv der bildenden Kunst. Seit der Renaissance haben zahlreiche Dichter, Schriftsteller, Maler, Bildhauer und Komponisten den Stoff bearbeitet. Auch zu philosophischer Reflexion hat der Mythos vielfach Anstoß gegeben. Aus religionskritischer Sicht ist Prometheus das Urbild des mutigen Rebellen, der die Befreiung von Unwissenheit und religiös fundierter Unterdrückung einleitet. In der Moderne steht er als Symbolfigur für den wissenschaftlichen und technischen Fortschritt und die zunehmende Herrschaft des Menschen über die Natur. Daher wird er je nach geschichtsphilosophischem Standort unterschiedlich beurteilt: Für Fortschrittsoptimisten stellt er eine Allegorie der sich emanzipierenden Menschheit dar; Zivilisationskritiker hingegen halten den „prometheischen“ Impuls für zwiespältig oder fragwürdig und problematisieren den Drang des Menschen zu möglichst schrankenloser, gottähnlicher Macht.

Wenn das Erdöl aufgrund seiner enormen Energiedichte auf der einen Seite wirtschaftlichen Fortschritt und Wohlstand in vielen Teilen der Welt ermöglicht hat, dann hat es andererseits auch gewaltige ökologische Schäden, geopolitische Konflikte und soziale Verwerfungen verursacht.

Ein Blick auf die Weltkarte zeigt, dass die größten Vorkommen des Rohstoffs sich in eher unwirtlichen Gegenden befinden: In der Tundra Sibiriens, den Wüsten Arabiens, der Einöde Patagoniens und der kaspischen Senke oder im Niemandsland der Arktis. Sollte dies eine späte Wiedergutmachung der Natur sein?

Baku kommt in der Geopolitik des Erdöls eine besondere Rolle zu, da hier im 19. Jahrhundert die erste Produktion im industriellen Maßstab stattfand. Gut die Hälfte der globalen Ölförderung entfiel zu Beginn des 20. Jahrhunderts auf die aserbaidschanische Hauptstadt, die alsbald zur ersten “oil city” überhaupt aufstieg und Unternehmer aller Art anlockte. In der Sowjetzeit galt Baku als ökologisches Notstandsgebiet, dessen größte Schäden seit der Unabhängigkeit beseitigt werden konnten. Der Ölboom ermöglichte auch erhebliche Investitionen im Kulturbereich, einschließlich der Restaurierung der einzigartigen orientalischen Altstadt.

Kuratoren:

Alfons Hug, Asli Samadova

Künstlerliste:

Monira Al Qadiri, Germany, Behind the Sun, 2013, single channel video, 10’
Orkhan Huseynov, Azerbaijan, Oil Drinking, 2011, single channel video, 3’
Andréas Lang, Germany, 2019, Digging for fire, photography and video
Marco Montiel-Soto, Germany, Villa Petrolea, 2019, site-specific installation
Samir Salahov, Azerbaijan, Perfect Wound, 2019, two-channel video animation, 3’
Tita Salina, Indonesia, 1001st Island - The Most Sustainable Island in Archipelago, 2016, single channel video, 14’11’’
Sadegh Souri, Iran, Fuel Smuggling, 2017, photography
George Osodi, Nigeria, Oil rich Nigeria delta, 2003-2007, photography
Sabina Shikhlinskaya and Chinara Majidova, Azerbaijan, Undelivered Letter, 2019, site-specific installation